Medizin zum Selbermachen Rundbrief November 2020
Frage einer Seminarteilnehmerin – Kohlendioxid Pro und Kontra
In den 2-tägigen Intensivseminaren „DMSO und Co – Der Gesundheitswerkzeugkasten“ kommt es immer wieder vor, dass Teilnehmer mit ihren Fragen thematisch „abdriften“, was jedoch meist zum besseren Verständnis von physiologischen Zusammenhängen beiträgt. Deshalb beantworte ich auch sehr gerne Fragen, die nicht direkt mit DMSO & Co zu tun haben – irgendwie jedoch schon.
Hier also die Frage der Teilnehmerin: Was ist dran an den Argumenten gegen oder für „Kohlensäure“?
Zunächst eine kurze Begriffsdefinition, damit klar ist, wovon man spricht, je nachdem welche Bezeichnung verwendet wird: Kohlensäure ist keine isolierbare Substanz, wie zum Beispiel Milchsäure oder Ascorbinsäure, sondern entsteht nur vorübergehend in wässriger Lösung, wenn Kohlendioxid eingeleitet wird. Die entsprechende zugehörige Gleichung, wie in der Schule gesehen/gehört lautet:
CO2 + H2O → H2CO3
In Worten: Kohlendioxid plus Wasser wird zu Kohlensäure.
Das Kohlendioxid kann hierbei beispielsweise aus der Luft kommen oder aus einer Druckflasche, wie sie für Bierzapfanlagen verwendet wird.
Wenn also nach Kohlensäure gefragt wird, so handelt es sich um Kohlendioxid haltige Getränke. Hält man ein Indikatorpapierchen in ein solches Getränk, so wird ein pH-Wert von ca. 5 angezeigt, also im leicht sauren Bereich. Mit einem solchen Getränk führt man also dem Körper eine gewisse Menge Kohlendioxid zu, denn die oben gezeigte chemische Gleichung ist umkehrbar, was ja eben dazu führt, dass es nach dem Schütteln eines solchen Getränkes zischt – Kohlendioxid, ein Gas, entweicht dann wieder aus der wässrigen Lösung.
Obwohl solche Getränke, insbesondere sogenanntes Mineralwasser mit Zisch, oft sehr kritisiert werden, wenn es um gesunde Ernährungsgewohnheiten geht, können diese Argumente aus sachlicher Sicht relativiert werden.
Erstens ist Kohlendioxid tatsächlich eine essenzielle Substanz für uns Menschen. Es ist ein wichtiger Teil des Blutpuffersystems, stabilisiert also in lebenswichtiger Art und Weise den pH-Wert des Blutes!
Ebenso wäre ein Gasaustausch in der Lunge und auch im Gewebe/an den Zellen ohne Kohlendioxid gar nicht möglich. Die beiden Partialdrücke von Sauerstoff und Kohlendioxid sind hochsensibel aufeinander abgestimmt und Sauerstoff könnte in den beiden Kapillarbetten, Lunge und Körper-Gewebe, gar nicht übertreten ohne dass Kohlendioxid für den Austausch bereit steht. Dies wird eindrücklich deutlich, wenn man zum Beispiel zu schnell atmet, als Hyperventilation bezeichnet, und dann Schwindel aufgrund von Sauerstoffmangel eintritt. Ähnliche Symptome beim Tragen von Atemschutz sind rein zufällig.
Zweitens, als Antwort auf die Frage nach der „Schädlichkeit“ von Kohlendioxid, erwähne ich gerne die sogenannte Carboxytherapie. Es handelt sich um Injektionen mit gasförmigem Kohlendioxid, die schon seit Jahrzehnten bei unterschiedlichen Symptomen eingesetzt werden. Dazu gehören Wundheilungsstörungen, Schmerzen, Durchblutungsstörungen wie PAVK („Schaufensterkrankheit“), Raucherbein oder Diabetisches Syndrom und auch ästhetische Anwendungen bei Cellulite, Schwangerschaftstreifen und Augenringe.
Warum funktioniert das? Es handelt sich um mindestens zwei interessante Mechanismen, die CO2 im Rahmen der Carboxytherapie auslöst. Erstens induziert es eine lokale Übersäuerung, da es sich ja im Gewebe ebenfalls in Wasser löst und so zu Kohlensäure wird. Und zweitens ist es ein Botenstoff für die Durchblutungs- und Gefäßneubildungssituation. Der erste Mechanismus kann also in den Bereich der Reiztherapie eingeordnet werden. Der zweite in den Bereich Regeneration.
Dies alles ist kein Freibrief oder Aufruf dafür, von früh bis spät Sprudel Classic zu trinken. Doch wir dürfen zugestehen, dass das ein oder andere „Zisch-Getränk“ auch wegen der enthaltenen Kohlensäure zu Genuss und Beschwingtheit beiträgt, denn CO2 aktiviert obendrein das Atemzentrum im verlängerten Rückenmark.